Der Ton des Briefes ist deutlich: Die SPD betreibe “Realitätsverweigerung”, schreiben fünf Wissenschaftler mit Blick auf die Ukraine an die Parteispitze. Sie kritisieren Aussagen von Kanzler Scholz und Fraktionschef Mützenich.
Heinrich August Winkler ist nicht irgendwer. Er gilt als einer der wichtigsten Historiker des Landes. Was er jetzt zusammen mit vier anderen sozialdemokratischen Professorinnen und Professoren als Brandbrief an den SPD-Parteivorstand und damit auch an den Kanzler schreibt, klingt nach Abrechnung in Sachen Ukraine-Politik der SPD: “Die Kommunikation des Kanzlers, der Partei und der Fraktionsspitzen in Fragen von Waffenlieferungen wird in der Öffentlichkeit zu Recht scharf kritisiert.”
Argumente und Begründungen seien demnach immer wieder “willkürlich, erratisch und nicht selten faktisch falsch”, heißt es etwa in dem zweiseitigen Brief, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt.
Winkler ist seit 60 Jahren SPD-Mitglied, hatte bereits 2016 in der SPD-Parteizeitung “Vorwärts” vor Wladimir Putins territorialem Machtstreben gewarnt und kritisiert wie die vier anderen jetzt in erstaunlicher Deutlichkeit, Handeln und Worte auch des Bundeskanzlers: “Wenn Kanzler und Parteispitze rote Linien nicht etwa für Russland, sondern ausschließlich für die deutsche Politik ziehen, schwächen sie die deutsche Sicherheitspolitik nachhaltig und spielen Russland in die Hände.”
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Konkret gehen die Wissenschaftler auch auf die Debatte um die jüngste Äußerung von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ein. “Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?”, hatte Mützenich im Bundestag gefragt. Die Historiker um Winkler sprechen von einer “fatalen Äußerung” und einem “kurzsichtigen Friedensbegriff einiger Genossen”.
Nächster Kritikpunkt: In der SPD fehle eine ehrliche Aufarbeitung der Fehler ihrer Russland-Politik der vergangenen Jahrzehnte. “Vielmehr wird die Tradition der Außenpolitik Egon Bahrs nach wie vor unkritisch und romantisierend als Markenzeichen der SPD hochgehalten.” Auf diese Weise mache sich die SPD unglaubwürdig und angreifbar.
Bei der SPD sind sie erschrocken über so viel Vehemenz prominenter Historiker. Man sei im Austausch, ein gemeinsames Gespräch nach Ostern geplant, heißt aus der Parteizentrale auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios.
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Winkler und den anderen Autoren scheint das nicht zu reichen. Sie definieren Zeitenwende anders: “Eine echte Zeitenwende würde vor allem eines erfordern: Das Verständnis dafür, dass Russland bereits seit vielen Jahren einen hybriden Krieg gegen Europa führt und seit Beginn der Vollinvasion den Plan verfolgt, die Ukraine zu zerstören.”
Der Ton des Briefes ist deutlich: Die SPD, so schreiben die fünf Sozialdemokraten, betreibe “Realitätsverweigerung”.
Der Brandbrief fällt zusammen mit der Ankündigung des SPD-Außenpolitikers Michael Roth, sich nach der kommenden Bundestagswahl aus der Politik zurückzuziehen. Roth, der immer wieder auf mehr Waffen für die Ukraine drängte, hatte erklärt, sein früher Einsatz für die Ukraine habe in der SPD nicht allen gefallen. In seiner Partei gebe es Spannungen in der Frage von Krieg und Frieden.
Das Grummeln über den Kurs der Sozialdemokraten in Sachen Ukraine wird offenbar lauter und öffentlicher. Auch wenn der Kanzler die Debatte in Deutschland zuletzt als “lächerlich” und “peinlich” bezeichnet hatte.
Es wird beim Thema Ukraine deutlich, was auch bei allen anderen Themen (Klima, Soziales, Haushalt, Kampf gegen Rechtsextremismus) deutlich wird.
In Zeiten von Krisen und Unsicherheit braucht es eine politische Führung die führt. Also die Präsenz zeigt, sich durchsetzt, eine Vision entwickelt und für die Umsetzung wirbt. All das fehlt in der Ampelregierung komplett. Die Taktik der SPD sich im Hintergrund zu halten und Grüne und FDP sich aneinander auffreiben zu lassen, funktioniert einfach nicht.
Merkel konnte auch deswegen als die ruhige “Mutti” auftreten, die sich um alles kümmert, weil sie in der Finanzkrise 2008-2009 Deutschland mit relativ wenig Schaden in der breiten Bevölkerung geführt hat, und die SPD zu der Zeit politisch sowieso im Eimer war. Die Taktik kann bei Scholz nicht aufgehen. Er hat als Kanzler keine erfolgreich gemeisterte Krise vorzuweisen, seine Koalition ist innerlich zerstritten, die CDU und CSU gehen auf Maximalpopulismus in der Opposition und nun sägt auch die SPD an seinem Ast. (Zur Klarstellung inhaltlich war Merkels Politik in vielen Bereichen ziemlich mies und hat uns eine Menge Probleme heute eingebrockt. Es geht um den Führungsstil und warum dieser bei ihr funktioniert hat.)
Und Beispiele, wie man es besser macht hat doch gerade die Ukraine geliefert. Zelensky der sich mit Videobotschaft aus Kiev meldet und sagt “ich bin da und ich bleibe hier”, während Russland behauptet er sei geflohen hat den Kampfgeist der Ukrainer befeuert und den russischen Blitzversuch dadurch deutlich geschwächt.
Das Land braucht einen Kanzler der nicht nur dann öffentlich auftritt, wenn es darum geht, etwas nicht zu machen, sondern vor allem, wenn es darum geht, was und wie gemacht wird.